Das Begräbnis von Hans Schafranek fand am 25. Oktober 2022 auf dem Stadtfriedhof Schärding (Oberösterreich) statt. Die Trauerreden hielten Dr. Walter Manoschek, Ao. Univ. Prof. am Institut für Staatswissenschaften (Universität Wien), und PD Dr. Jochen Böhler, Direktor des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien (VWI).
Grabrede für Hans Schafranek von Dr. Walter Manoschek
Liebe Andrea, liebe Trauernde,
als mir Andrea vor 12 Tagen mitteilte, dass Hans todkrank ist und ich gesagt habe, ich komme sofort nach Wien, hörte ich im Hintergrund die schwache, aber sehr eindringliche Stimme von Hans: „Er soll sein Serbien-Buch* mitnehmen, ich muss ihn noch etwas fragen.“ Nur wenige Stunden später ist Hans verstorben. Diese Geschichte ist symptomatisch für Hans: er war, wie Andrea es in ihrer Traueranzeige treffend formuliert, ein Zeithistoriker mit Leib und Seele. Und das bis zur letzten Stunde seines Lebens.
Auf sein wissenschaftliches Lebenswerk wird Jochen Böhler in seiner Abschiedsrede noch genauer eingehen. Nur soviel sei hier gesagt: Seine Forschungsarbeiten sind, sowohl was ihre Anzahl als auch ihre wissenschaftliche Qualität betrifft, herausragend. Für Wissenschafter sind sie DAS Erbe, das uns Hans hinterlässt.
Ich kenne Hans seit fast 40 Jahren. Lange Zeit war er ein wissenschaftlicher Einzelkämpfer, der institutionell nicht verankert war und es auch nicht sein wollte. Eine schwierige Position, die verwundbar macht. Verwundbar für Ungerechtigkeiten, für Gemeinheiten, für Ignoranz. Was Hans zutiefst verabscheute waren Stalinisten, Nazis und Bürokraten aller Art und – wie er es – nannte: wissenschaftliche Schaumschläger. Über sie konnte er herziehen bis ihm – im wahrsten Sinne des Wortes – der Schaum vor dem Mund stand. Dann versuchte man ihn einzubremsen. Was auch gelang, denn Hans besaß durchaus Selbstironie. Das Gelingen war aber nur von kurzer Dauer. Wenig später setzte er genau dort fort, wo er zuvor geendet hatte …
Als sich Andrea und Hans vor 20 Jahren kennenlernten, wurden sie nicht nur privat ein Paar. Sie gingen auch fortan zusammen ihren wissenschaftlichen Weg. Gemeinsam waren sie monatelang in diversen Archiven unterwegs, gemeinsam schrieben sie Bücher und Artikel. Es war für mich schön zu sehen, wie Hans eine Frau gefunden hatte, mit der er Privates und Berufliches bis zu seiner letzten Stunde teilen konnte.
Ich habe mich gefragt, warum mich Hans an seinem Sterbebett gebeten hat, bei seinem Begräbnis einige Abschiedsworte zu sprechen. Dabei viel mir eine Begebenheit ein, die mir immer in Erinnerung bleiben wird. Auch wir beide hatten eine Phase, wo wir nicht gut aufeinander zu sprechen waren und den Kontakt zueinander vermieden. Als wir uns nach Jahren bei einer Veranstaltung wieder begegneten, gingen wir spontan aufeinander zu und meinten, dass nun wohl genug Zeit vergangen sei, um das Trennende zu vergessen. Wir umarmten uns und es blieb fortan kein Schatten mehr zwischen uns.
Ich erzähle diese Begebenheit zum Abschluss, weil sie zeigt, dass Hans – bei aller Verbissenheit, die er manchmal an den Tag legte – auch die charakterliche Größe besaß, Loslassen zu können und Frieden zu schaffen.
Einen Frieden, den wir ihm auf seiner Reise ins Universum alle aus tiefstem Herzen wünschen.
* Bei der im Text angesprochenen Publikation handelt es sich um das Buch: Walter Manoschek, „Serbien ist judenfrei“. Militärische Besatzungspolitik und Judenvernichtung in Serbien 1941/42. Beiträge zur Militärgeschichte, herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Band 38. München 1993.
Grabrede für Hans Schafranek von PD Dr. Jochen Böhler
Liebe Andrea, liebe Familie, liebe Freundinnen und Freunde von Hans,
ich sage es gleich, ich habe Hans sicher weniger gekannt als die meisten hier.
Wir sind uns im Sommer 2014 zum ersten Mal begegnet, in der deutschen Hauptstadt. Dem ging 2010 eine Anfrage zu einer der vielen Sackgassen voraus, die ich in meinem Leben betreten habe, zum Thema der Kooperation zwischen Gestapo und NKWD in Polen im Herbst und Winter 1939/40. Hans hatte mir damals sofort und unglaublich gründlich geantwortet und mich sowohl mit seiner profunden Kenntnis, Akribie und vor allem uneingeschränkten Hilfsbereitschaft sofort für sich eingenommen. Da war offenbar jemand, der die Forschung wie ich als Einzelkämpfer betrieb, aber zugleich als ein Gemeinschaftsprojekt verstand und gerne jedem, der ihn direkt und offen fragte, bereitwillig weiterhalf. An jenem Sommertag in einem Berliner Café vier Jahre später – Andrea, Du warst ja auch dabei – lernte ich einen sympathischen, lebenslustigen, und vor allem wissenshungrigen Menschen kennen, der das Leben leicht, die Wissenschaft aber umso ernster nahm, Bonvivant und wandelndes Lexikon zugleich.
Wir freute ich mich also, als ich Hans vor zwei Monaten überraschend schreiben konnte, dass es mich nun nach Wien verschlagen habe und wir uns doch gelegentlich treffen sollten, um über zukünftige Projekte zu plaudern. Seine Antwort erschütterte mich: Er liege im Sterben, ich solle ihn zu Hause besuchen und mich besser beeilen. Und er fügte auf seine schonungslos offene Art hinzu: „Es gibt ja das bekannte Diktum, wonach die Hoffnung zuletzt stirbt. Diesen Spruch halte ich für potenziell gefährlich, zumindest aber für unbedacht. Meines Erachtens wird eher umgekehrt ein Schuh daraus. Erst aus der Hoffnungslosigkeit erwächst manchmal der Mut der Verzweiflung. Signifikantestes Beispiel: Der Beginn des Warschauer Ghetto-Aufstands am 19. April 1943.“ Sein eigenes Ende sah er klar voraus, und er ging ihm mit Würde entgegen. Jede Art von Mitleid verbat er sich dabei strikt.
Wer war der Mann, der diese bemerkenswerten Zeilen schrieb? Nach meiner Einschätzung einer der bedeutendsten Zeithistoriker dieses Landes. In Hans Schafraneks umfangreichem wissenschaftlichen Werk – er hat 17 Bücher und über 70 wissenschaftliche Aufsätze zu den Schwerpunkten Vergleichende Diktaturforschung, Nationalsozialismus, Stalinismus, Exil in der UdSSR, Widerstand gegen das NS-Regime und Nachrichtendienste im Zweiten Weltkrieg publiziert – nahm das Zitieren von Sekundärliteratur nur einen sehr bescheidenen Platz ein. Als „unermüdliche ‚Archivratte‘“ – so seine ironische Selbstbezeichnung – zog er mit detektivisch-kriminalistischem Spürsinn ausgegrabene, zum allergrößten Teil unveröffentlichte Quellen für seine Arbeiten heran, anhand derer es ihm auch oft glückte, Bekanntes unter der Hinzuziehung neuer Perspektiven in neuem Licht erscheinen zu lassen, oder verbreitete Narrative gegen den Strich zu bürsten. Und ich rede hier nicht nur von seiner Neuinterpretation des NS-Juliputsches 1934, die er unter dem schönen Titel „Sommerfest mit Preisschießen“ – ein wahrer Schafranek – im wunderbaren Wiener Czernin-Verlag veröffentlicht, wie so viele seiner vielen Bücher. In Fritz Veitl, dem Metropol-Chef, der Hansens letztes Buch posthum herausgeben wird, hatten wir beide denselben immer verlässlichen Freund und Verleger. Dass Hans dagegen jegliche längere Affiliation mit Institutionen ablehnte, das lag in seiner Natur. Das Ergebnis war seine maximale Unabhängigkeit – darunter machte er es nicht –, erkauft mit einem Leben als Freiberufler in oftmals prekären Verhältnissen und mit ungewisser Zukunft. Er pfiff drauf.
Als ich Hans vor einem Monat am Krankenlager besuchte, da glaubte ich zunächst, einem anderen Mann gegenüberzusitzen als dem, den ich acht Jahre zuvor im Berliner Café getroffen hatte. Von seiner stattlichen Statur war nichts übriggeblieben. Aber als er zu sprechen begann, da war jegliche Verwechslung ausgeschlossen. Der gleiche Esprit, die gleiche Energie, die mich damals fasziniert hatten, sprühten mir da entgegen. Andrea, er und ich sprachen mehr als eine Stunde, über die österreichische zeithistorische Landschaft, über die vielen unvollendeten Projekte, etwa das letzte Großprojekt über vergleichende Widerstandsforschung. Als ich die beiden verließ und Hans ohne Larmoyance von einer bevorstehenden Behandlung sprach sagte ich ihm, er sei ja ein Experte im Widerstand. „You made my day“, lachte er. Seinen Sinn für schrägen Humor hat er sich bis zum Schluss bewahrt.
Hans war ein Spürhund, ein zäher Ermittler, ein hardboiled detective, wie direkt aus einem Hammett- oder Chandler-Krimi der 1930er Jahre entsprungen. Seine Unermüdlichkeit auf der Suche nach der Wahrheit im Dienste der Gerechtigkeit machte ihn zugleich zu einem Seelenverwandten von Simon Wiesenthal. Es ist für mich als Direktor des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien daher eine ganz besondere Ehre, dass Hans uns einen Teil seiner so wichtigen, über Jahrzehnte zusammengestellten Dokumentation aus Archiven in aller Welt über österreichische SS- und SA-Männer als „Sammlung Schafranek“ hinterlässt. Ein großer Mann ist von uns gegangen, aber sein Geist und Werk werden in Bibliotheken und Archiven weiterleben.
Es ist ein abgenutzter, aus der Zeit gefallener Spruch, dass hinter jedem großen Mann eine große Frau steht. Aber wahrscheinlich weiß tatsächlich nur Andrea allein, wieviel Hurton in den Schafranek-Großprojekten steckte, und wie ich sie so einschätze wird sie dieses Geheimnis auch weiterhin für sich behalten. Dir, Andrea, wie uns allen bleibt jetzt, im Angedenken und Sinne von Hans weiterzumachen. Ich freue mich, dass ich ihm begegnen durfte – und hätte ihn gerne viel besser gekannt.
Zur Musik
Hans Schafranek hat sich gewünscht, dass sechs Lieder bei seiner Verabschiedung gespielt werden, wie z. B. „So Long, Marianne“ von Leonard Cohen oder „L’Affiche Rouge“ von Léo Ferré (nach einem Text von Louis Aragon). (Anm. Während des Begräbnisses konnten alle Lieder gespielt werden, auf der Webseite selbst können aus rechtlichen Gründen nur auf sie verlinkt werden, wie in diesem Fall zu einer Playlist auf Spotify.)
Die Reihenfolge der Lieder folgt einer losen Chronologie, die sich auch in der Auswahl der Fotos widerspiegelt. Zu Esther & Abi Ofarim’s „Morning Of My Life“ sowie Georges Moustaki’s „Le Métèque“ passen etwa folgende Fotos.
Die Fotos wurden im Format A4 laminiert ausgedruckt und auf eine Pinwand gepinned, sodass am Ende ein kleines Panorama des vor allem wissenschaftlichen Lebenslaufs von Hans Schafranek entstand.
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