Zwischen NKWD und Gestapo

Hans SCHAFRANEK: Zwischen NKWD und Gestapo. Die Auslieferung deutscher und österreichischer Antifaschisten aus der Sowjetunion an Nazideutschland 1937–1941. ISP-Verlag, Frankfurt am Main 1990, 220 Seiten. ISBN 3-88332-181-8.

Die enge Kooperation zwischen dem Auswärtigen Amt in Berlin bzw. der deutschen Botschaft in Moskau und dem Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten bei der Abschiebung und Auslieferung hunderter deutscher und österreichischer Emigranten und Facharbeiter ist das Thema der vorliegenden Untersuchung und Dokumentation. Außerdem werden bislang unbekannte Aspekte der Zusammenarbeit zwischen den Polizeiapparaten der stalinistischen Sowjetunion und Nazideutschlands dargestellt. In Forschung und Publizistik ist bislang wenig beachtet worden, was hier genau belegt wird: Dieses besonders düstere Kapitel in der Außenpolitik der Sowjetunion beschränkte sich durchaus nicht auf die Periode des Hitler-Stalin-Paktes (1939–1941), sondern war seit 1937 eine gängige Praxis. Das vermeintliche „Vaterland aller Werktätigen“, in dem einige als ehemalige Teilnehmer des Ersten Weltkriegs und des russischen Bürgerkriegs geblieben waren, in das einige als Facharbeiter gekommen waren, in dem die meisten nach den katastrophalen Niederlagen der deutschen Arbeiterbewegung (Januar/Februar 1933) und der österreichischen Arbeiterbewegung (Februar 1934) als Emigranten Zuflucht gesucht hatten, entledigte sich dieser Opfer der „Säuberungen“. Die meisten waren überzeugte Antifaschisten, ja Anhänger des Stalinismus, die allenfalls im Stillen (bzw. nach der Verhaftung) zu zweifeln begannen. 

Die Darstellung beruht auf einer breiten Quellengrundlage, insbesondere auf bisher unveröffentlichten Dokumenten aus deutschen und österreichischen Archiven. Dank der reichhaltigen Aktenbestände im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (Bonn) konnten die 305 Kurzbiographien von deutschen und österreichischen Opfer der stalinistischen Auslieferungspolitik erstellt werden, die im vorliegenden Band publiziert werden. 

MEDIENECHO

„Schon vor 1939 hatten die feindlichen Regimes gemeinsame Sache gemacht. Von Februar 1937 an wiesen Stalins Schergen – auf Wunsch der Deutschen – nach und nach rund 620 Häftlinge aus, darunter 60 antifaschistische Emigranten. Einer von ihnen war der Hamburger KPD-Funktionär Wilhelm Pfeiffer. Fassungslos und ‚von Schluchzen erschüttert’ reagierte er, als ihm die Sowjetbeamten im Beisein des deutschen Botschaftsvertreters Herbert Hensel den Ausweisungsbeschluss mitteilten. Die Emigrantin Zenzl Mühsam wollte sich unter die Räder des Zugs werfen, falls sie ausgeliefert würde: ‚Lebend bekommen sie mich nicht nach Nazi-Deutschland.’ Ihr Mann, der Anarchist und Schriftsteller Erich Mühsam (…) war 1934 im KZ Oranienburg ermordet worden. (…) Die Sozialistin Susanne Leonhard, Mutter des Ostexperten Wolfgang Leonhard, der im Mai 1945 mit der Gruppe Ulbricht aus Moskau nach Berlin zurückkehrte, machte sich schon 1937 in ihrer Zelle keine Illusionen mehr über das Schicksal der Flüchtlinge: ‚Wir deutschen Politemigranten sind in Stalins Augen alle ein gefährlicher Ballast: man will uns loswerden’.“
Der SPIEGEL, 6/1991

„Wer die ‚Säuberungen’ überlebte, musste dennoch befürchten, von den sowjetischen Behörden an Nazi-Deutschland ausgeliefert zu werden. Dieses dunkle Kapitel hat jetzt ein österreichischer Historiker aufgeschlagen.“
Die ZEIT, Nr. 8, 15.2.1991

„Herausgekommen ist eine Dokumentation der Zusammenarbeit zwischen den Polizeiapparaten des stalinistischen Russland und Hitler-Deutschlands. Ob die beiden voneinander gelernt haben, ist keine theoretische Frage. Man kann in Archive gehen und nachforschen. Hans Schafranek hat es getan. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Im Januar 1940 notiert SS-Führer Otto Gustav Wächter: ‚Auf den Hinweis, ob er nicht auch Juden aufnehmen wolle, da man in Sowjetrussland doch den Antisemitismus nicht kenne, hat sich Herr Jegnarow sehr ablehnend verhalten und gemeint, wir würden schon andere Wege finden, die Juden zu beseitigen’.“
taz, 14.5.1992

„Welcher Überlegung der Leser auch immer folgen will – ob die Auslieferungen Ergebnis der Bemühungen der deutschen Botschaft waren, die vorgab, ihrer ‚Obhutspflicht für Reichsangehörige’ nachzukommen, ob die Sowjetunion einfach nur ‚lästige Ausländer’ abschieben wollte oder vermeintliche politische Gegner mit Absicht ans Messer lieferte – am Ende bleibt die Erschütterung über das tragische Schicksal von hunderten Unschuldigen sowie über die perfekte Zusammenarbeit zwischen Ämtern und Sicherheitsapparaten beider Länder.“
Lutz Priess, Neues Deutschland, 23.4.1991

„Der Wiener Historiker Hans Schafranek analysiert in seiner Arbeit ein besonders düsteres Kapitel des Hitler-Stalin-Paktes, nämlich die Auslieferung Hunderter von deutschen und österreichischen Emigranten an Nazideutschland. Anhand bisher unbeachtet gebliebener Akten des Auswärtigen Amtes in Berlin, der deutschen Botschaft und des Volkskommissariats in Moskau zeichnet er minuziös nach, wie in die Sowjetunion geflüchtete Antinazisten der skrupellosen Diplomatie Stalins zum Opfer fielen. Eine erste Gruppe in der Sowjetunion unter ‚Spionageverdacht’ Verhafteter wurde bereits im Frühjahr 1937 – mehr als zwei Jahre vor dem Pakt – an Deutschland übergeben. Die Initiative dazu ging von deutscher Seite aus, welche den Sowjets immer neue ‚Wunschlisten’ vorlegte, denen Moskau zum großen Teil stattgab. Die Frage, inwiefern Stalin mit deutschen ‚Gegenleistungen’ rechnen konnte, vermag auch Schafranek nicht vollständig zu klären; das einzige Zugeständnis Berlins sieht er in der Rückgabe des sowjetischen Schiffes ‚Smidowitsch’, das 1937 von francotreuen Verbänden vor der spanischen Küste gekapert und auf deutschen Druck hin Ende 1938 den Sowjets überstellt wurde.“
Peter Huber, Neue Zürcher Zeitung, 7.5.1991 

„Dr. Schafranek (…) in this study traces the fortunes of German and Austrian anti-fascists, who returned to their homes from the Soviet Union in the period 1937–1941, or rather were handed over to the Nazi-dictatorship by the Soviet government. Also included are over three hundred short biographies and a few relevant documents.“
International Review of Social History, Amsterdam 1992, No. 3

„Trotz gewisser Einschränkungen bleibt der tiefe emotionale Eindruck der in 305 Kurzbiographien nachvollzogenen Schicksale unschuldiger Opfer, die zum größten Teil direkt aus sowjetischen Lagern und entlassen, in die Mühlen der deutschen Repressivorgane gerieten (…). Ein Abschnitt des Buches widmet sich ausschließlich den Richtlinien und Maßnahmen der Gestapo und der örtlichen Polizeidienststellen zur Überprüfung und ständigen Überwachung bis hin zur Verhörpraxis und Hinweisen zur Vorbereitung von Hochverratsprozessen (…). Interessant und faktenreich geschrieben, liegt mit dem Buch Zwischen NKWD und Gestapodie erste mit umfangreichen Archivquellen belegte Publikation zu der bisher nur in Erinnerungsberichten (M. Buber-Neumann u.a.) reflektierten Problematik vor. Nur die Öffnung auch der sowjetischen Archive wird noch tiefere Einsichten – so auch die Einschätzung Hans Schafraneks – in die Motive des Handelns sowjetischer Regierungsstellen ermöglichen können.“
Peter Erler/André Fechner, Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 3/1991

„Schafranek kommt aufgrund seiner umfassenden Recherchen, wobei er insbesondere bisher nicht benutzte Aktenbestände im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn auswertete, zu dem Ergebnis, dass es bereits vor dem Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes hinsichtlich der Ausweisungspraxis eine ,Kooperation zwischen der Gestapo und dem NKWD gegeben haben‘ muss. Für die Jahre zwischen 1937 und 1941 hat Schafranek etwa 900 ausgewiesene Deutsche und Österreicher namentlich eruieren können (die tatsächliche Zahl liegt auf jeden Fall höher);  305 dieser Personen stellt er in Kurzbiographien vor (…). Von diesen 305 Personen sind 192 Deutsche, 113 Österreicher. 78 wurden vor dem Hitler-Stalin-Pakt, 227 nach dem Hitler-Stalin-Pakt ausgewiesen; 270 dieser Personen waren bisher weder aus der entsprechenden Fach- noch aus der Memoirenliteratur bekannt; die biographischen Daten zu bereits bekannten Personen hat Schafranek teilweise ergänzen, teilweise korrigieren können (…). Es bleibt zu hoffen, dass in absehbarer Zukunft die bisher vorliegenden Erkenntnisse erweitert und vertieft werden, so dass auch dieses dunkle Kapitel der an moralischen und politischen Katastrophen nicht gerade armen Geschichte des Realsozialismus endgültig ans Licht kommt. Am Beispiel des Umgangs der sowjetischen Stalinisten mit ihren deutschen und österreichischen Kampfgefährten wird wieder einmal klar, dass die Linke, will sie überhaupt noch eine Zukunft haben, erst einmal mit ihrer eigenen Geschichte ins Reine kommen muss. Wer will schon mit jenen zu tun haben, die mit blutigen Fingern auf andere zeigen, ohne erklären zu wollen oder zu können, wie das Blut an ihre Finger gekommen ist.“
Wolfgang Braunschädel, Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Bd. 11, 1991

„Dieses Buch von Hans Schafranek aus Wien belegt, dassschon ab 1937 eine enge Kooperation zwischen dem Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, der deutschen Reichsregierung und der Gestapo bestand. Eine wichtige Rolle dabei spielte der deutsche Vertreter in Moskau, Graf von der Schulenburg. Er legte ständig Listen mit Namen von deutschen Staatsangehörigen vor (auch Österreicher galten nach dem ‚Anschluss’ als solche), deren Rückführung die deutsche Regierung wünschte (…). Darunter befanden sich deutsche Facharbeiter, die während der Weltwirtschaftskrise in die Sowjetunion gegangen waren, die aber im Verlauf der Moskauer Prozesse 1936/37 nicht nur befürchten mussten, sondern es auch erlebten, absurderweise als ‚Spione’ verdächtigt und entsprechend behandelt zu werden. Die meisten aber waren politische Emigranten, Schutzbündler aus Österreich (…), die nach dem gescheiterten Arbeiteraufstand 1934 in Wien hier Zuflucht suchten, deutsche Antifaschisten, vorrangig Kommunisten, die natürlich davon überzeugt waren, in der Sowjetunion unter Gleichgesinnten ein gesichertes Exil zu finden. Als Quellenmaterial benutzte Schafranek hauptsächlich das politische Archiv des Auswärtigen Amtes.“
Günther Maschuff, Zwischen NKWD und Gestapo. Ein Buch, das zur Affäre wurde, in: die andere. Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Berlin, Nr. 24, 12.6.1991

„Dass die ‚Quellenlage’ manchmal doch nicht so problematisch ist, beweist Schafranek mit seiner Arbeit über den vielleicht bittersten Teil jenes Leidensweges, den deutsche und österreichische AntifaschistInnen beschritten, wenn die Stalinsche Geheimpolizei einmal begonnen hatte, sich um sie zu ‚sorgen’. Es handelt sich um ein Buch wider das Vergessen, das (…) eine große Verbreitung verdient.“
Rolf Wörsdörfer, Konzept Links, September 1991

„Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur historischen Aufklärung. Die Moscow News (Nr. 22/1991) widmeten ihm unter dem Titel NKWD und Gestapo – Partner aus Berufung eine ganze Seite. Darin wird gefordert, endlich auch die sowjetischen Archive der Forschung zugänglich zu machen, um die angeführten und viele anderen Vorgänge schonungslos aufzuklären.“
Inprekorr, 239, September 1991

„Das Buch sorgte nicht zuletzt deshalb  für Wirbel, weil es den hessischen Kommunisten Emil Carlebach und seine Funktion in der KZ-Lager‚leitung’ (gemeint: partielle interne Häftlingsselbstverwaltung im KZ Buchenwald – H.S) bloßstellte und dieser prompt eine einstweilige Verfügung erwirkte und eine Passage einschwärzen ließ. Hans Schafranek ist allerdings als gewissenhafter Historiker bekannt, der sich nicht zuletzt durch seine Beschäftigung mit der Biografie und Ermordung Kurt Landaus im Spanischen Bürgerkrieg im Bereich obskurer kommunistischer Geheimpolizeipraxis bestens auskennt.“
Schwarzer Faden. Vierteljahressschrift für Lust und Freiheit, Grafenau, 13. Jhg., Nr. 1/92

„Der Wiener Historiker Hans Schafranek hat mit seinem Buch die Komplizenschaft von stalinistischen und nationalsozialistischen Polizeiapparaten bei der Eliminierung deutscher und österreichischer Antifaschisten – sofern der Begriff für die, wie sich zeigt, höchst differenzierten Gruppen von Verfolgten noch taugt – ein weiteres wichtiges Kapitel dieses immer noch unabgeschlossenen Kompendiums geschrieben.“
Siegfried Mattl, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 2/1991

„Obwohl sich Schafranek in dem vorliegenden Buch kaum mit den gesellschaftspolitischen Hintergründen seines Themas befasst, ist ihm dennoch eine überzeugende Arbeit gelungen, die sich vor allem durch ihre Genauigkeit auszeichnet. Das Buch ist aufgrund der vielen erhaltenen Details, Anmerkungen, Kurzbiographien und Dokumente nicht leicht zu lesen, was aber angesichts der Kompliziertheit der Thematik vermutlich unvermeidbar war.“
H. Diefenbach, Aufrisse Nr. 2/1991

„Schafraneks Verdienst ist es, auf einer breiten Quellengrundlage, insbesondere auf bisher unveröffentlichten Dokumenten aus deutschen und österreichischen Archiven beruhend, sich eines Themas angenommen zu haben, das bislang bestenfalls Gegenstand von Polemiken war. Ein düsteres Kapitel in der Geschichte der kommunistischen Weltbewegung, wohl mit ein Puzzlestein für das Scheitern des ‚realen Sozialismus’.“ 
Andreas Pittler, Der Standard, 31.1.1990

„Es ist gespenstisch. Ein Enthüllungsbuch des Wiener Historikers Hans Schafranek erregt in Moskau großes Aufsehen und sorgt in Frankfurt am Main für einen Gerichtsprozess: Ein Altstalinist sieht sich von Schafranek verleumdet. Ein kontroverses Werk mithin.“
Georg Scheuer, AZ, 10./11.8.1991

„Nach ausführlichen Forschungen im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Bonn und im Österreichischen Staatsarchiv veröffentlicht er erstmals verschiedene Dokumente, die eindeutig die Zusammenarbeit der sowjetischen Geheimpolizei mit der Gestapo bereits seit 1937 nachweisen.“
Wiener Zeitung, 3.4.1991

„Schon wieder werden Seiten der sowjetischen Geschichte im Westen aufgeschlagen. Wir hätten längst selbst mit dem Blättern beginnen sollen.“
Irina Schtscherbakowa, Moskau News, Nr. 7, Juli 1991 (russisch / englisch / deutsch)

RADIOBEITRÄGE

Norddeutscher Rundfunk, NDR 3. Texte und Zeichen. Literatur Journal, 16.6.1991, 19.05 Uhr

Deutschlandfunk, Politische Literatur, 11.3.1991, 19.15 Uhr

Hessischer Rundfunk. Das politische Buch, 3.3.1992

Deutsche Welle. Büchermagazin, 12.8.1991

ORF, Ö1, „Das Bücherviertel“, 14.6.1991, 21.45 Uhr