Die Betrogenen

Hans SCHAFRANEK (Hrsg.): Die Betrogenen. Österreicher als Opfer stalinistischen Terrors in der Sowjetunion. Picus-Verlag, Wien 1991, 246 Seiten. ISBN 3-85452-219-3.

Die Geschichte der österreichischen Emigration in der Sowjetunion und inbesondere die Tragödie Hunderter österreichischer Antifaschisten, die in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre dem stalinistischen Terror zum Opfer fielen, wird hier erstmals umfassend dokumentiert. Ein Kernstück dieses Buches bilden 405 Kurzbiographien österreichischer Schutzbündler, Facharbeiter, KPÖ-Funktionäre und anderer Emigranten, die zwischen 1933 und 1939 in der Sowjetunion verhaftet und zum Teil ermordet wurden. 

MEDIENECHO

„Der Herausgeber dieses Buches beschränkt sich aber nicht nur auf die Nacherzählung der verschiedenen Schicksale der Stalinismus-Opfer. In seinem Vorwort wagt sich Hans Schafranek an das wesentlichste und schwierigste Problem – Opfer und Täter, Schuld und Verantwortung. Schließlich bestand das Wesen der Stalinschen Variante des Totalitarismus in der fließenden Grenze zwischen Opfern und Mitläufern, in der Vernichtung  der Treuesten und Glaubenden. Es ist deshalb außerordentlich wichtig, die Tragödie des verratenen Glaubens an die kommunistische Idee bzw. die Partei zu sehen – und dieser Versuch wird in diesem Buch unternommen. (…) Der Bedrohung durch die Repressionsmaschinerie konnte niemand entgehen, weder der einfache junge Arbeiter und Schutzbündler, noch Menschen wie Karl Nebenführ. Nebenführ war mit dem Lenin-Orden ausgezeichnet worden und hatte einen hohen Rang in der sowjetischen Militäraufklärung inne. Er nahm an einigen ihrer unglaublichsten Aktionen teil. Schließlich wurde er aus Paris nach Moskau zurückberufen, wo er 1939 erschossen wurde. In dem vorliegenden Buch wird auch die traurige Odyssee der sogenannten ‚Familienmitglieder von Volksfeinden’ aufgezeigt: die Verhaftungen, Verbannungen, der demütigende Kampf um die Rehabilitierung und die Möglichkeit, in die Heimat zurückzukehren; und schließlich die Jahre des Schweigens wegen der tiefsitzenden Angst, vor allem aber aus Furcht zuzugeben, dassman betrogen worden war und eigentlich das eigene Leben und den Glauben an den Kommunismus ausstreichen musste.“
Irina Scherbakowa, Archiv für Sozialgeschichte, 34, 1994

„Der österreichische Historiker Hans Schafranek sammelt Schicksale. Mit Akribie geht er den Lebensläufen jener Österreicher nach, die Stalin zum Opfer fielen (…)bestätigt, dassStalin offenbar keinen Unterschied zwischen der ‚Entlarvung von Volksfeinden’ und den Produktionszahlen der Fabriken sah. Hier wie dort war Erfüllung des Plansolls selbstverständlich (…). Aus einem Bericht ‚Über die Ergebnisse des Sozialistischen Wettbewerbs der dritten und vierten Abteilung der Verwaltung für Staatssicherheit des NKWD der Republik (Kirgisien) für Februar 1938’: ‚Die vierte Abteilung hat im Vergleich zur dritten Abteilung die Anzahl der monatlichen Verhaftungen um das Anderthalbfache gesteigert und 13 Spione und Mitglieder einer konterrevolutionären Organisation mehr entlarvt als die dritte Abteilung … Diese übergab jedoch 20 Fälle dem Militärkollegium und elf Fälle dem Sondertribunal, was die vierte Abteilung nicht schaffte. Dafür hat die vierte Abteilung die Anzahl der von ihrem Apparat zum Abschlussgebrachten Fälle (das Randgebiet nicht gerechnet), die von der Dreierkommission geprüft wurden, um fast 100 Personen gesteigert …’.“
Hellmut Butterweck, Die Furche, Nr. 33, 15.8.1991

„Wesentlich umfassender ist der von Hans Schafranek herausgegebene und von ihm zum größten Teil auch selbst verfassteSammelband ‚Die Betrogenen’. Dieses Buch ist in gewissem Sinn das um gut lesbare biographische Artikel zu ausgewählten Stalin-Opfern (Christine Kanzler über Hans Hauska und die ‚Kolonne Links’, Robert Streibel über den Humoristen Boris Brainin, Walter Manoschek über das Schutzbündlerehepaar Bocek, Schafranek über den hohen Offizier des militärischen Nachrichtendienstes Karl Nebenführ und den Arbeitsmigranten Julius Puschek, weiters ein Beitrag von Georg Scheuer zur Beteiligung des KPÖ-Apparats am stalinistischen Terror) ergänzte eigentliche österreichische Pendant der deutschen Unternehmung (.). Kernstück des Buches sind 405 Kurzbiographien österreichischer Opfer des Stalinismus in der Sowjetunion.“
Berthold Unfried, Zeitgeschichte, Heft 1 / 2, Jänner/Februar 1992

„In ‚Die Betrogenen’ werden nicht spiegelbildlich zu den einstigen stalinistischen Heldenliedern Wunderdinge von antistalinistischen Aufrechten erzählt, es wird vielmehr der Versuch einer Bestandsaufnahme im historischen Kontext unternommen, Widersprüche werden daher nicht als störend, sondern als produktives Element bei der Wahrheitsfindung begriffen.“
Kurt Hofmann, Die Linke, Nr. 13, 10.7.1992

„Die Tatsache, dass dieses Thema bis vor wenigen Jahren weitgehend der Forschung entzogen blieb, erklärt Schafranek damit, dass Stalin seine Opfer nicht nur physisch vernichtete, sondern auch die Erinnerung an sie löschte, wo immer dies möglich war, ja sogar – so paradox dies erscheint – bei den Opfern selbst. Diese Wirkungsweise stalinistischer Herrschaftstechniken, die auf einen permanenten Mechanismus der Selbsterniedrigung, der Korrumpierung und Brechung des Rückgrats gründete, erhellt Schafranek u. a. an folgendem Beispiel: ,Als im September 1949 der Prozess gegen Lászlo Rajk und andere ungarische KP-Führer inszeniert wurde, schickte die Volksstimmeals Berichterstatter zu diesem auf monströsen Lügen aufgebauten Schauprozess den Altkommunisten Franz Kunert nach Budapest. Welches Meisterstück eines sadomasochistischen Disziplinierungsrituals! Kunert war erst im Jahr zuvor aus der UdSSR zurückgekehrt. Er hatte zehn Jahre in russischen Arbeitslagern verbracht.‘ (…) Dass dieses Ausmaß an Verwüstungen, das der Stalinismus in den Köpfen seiner Opfer anrichtete, in seiner Tragweite kaum zu überblicken ist, führten Interviews mit überlebenden österreichischen Opfern überdeutlich vor Augen (…).“
Wigbert Benz, Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer, 43/1992

„Solche Bücher, wie dasjenige von Hans Schafranek, sollten als Lehrstücke unter gewissen Kreisen von Idealisten verbreitet werden. Vielleicht kann es Nutzen bringen?“
Peter Gosztony, Das Historisch-Politische Buch, Jhg. 40, 1/1992

„Grundsätzlichen Fragen des Terrors geht Schafranek auch in der Einleitung nach, hauptsächlich im Hinblick auf die Verquickung von Opfern und Tätern. Damit meint er nicht nur die gelegentlich anzutreffende Haltung überlebender Gulag-Insassen, die auch nachher die ‚Treue zur Partei’ aufrecht erhielten (…), sondern vielmehr etwas, das zur Tagespolitik der Kommunistischen Parteien gehörte: die Verleumdung und Verächtlichmachung anderer linker Anschauungen, die Verabsolutierung der jeweiligen Parteilinie, wobei die Betätigung für irgendeine unterlegene Parteirichtung das Mal des Ketzertums mit sich brachte und nicht selten in der Sowjetunion das Verhängnis schlechthin bedeutete (…). Wir kommen der Kompliziertheit der Täter-Opfer-Problematik näher, wenn wir berücksichtigen, dassdie Kollektive der österreichischen Kommunisten in Stalins Sowjetunion in Versammlungen, Aufrufen sowie im Betriebs- und Alltagsleben die Kriterien derer annahmen, die sich anmaßten zu bestimmen, wer ein ‚gutes’ und wer ein ‚schlechtes Element’ sei.“
Barry McLoughlin, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenshaft, 1/1992

„Über das Schicksal österreichischer Emigranten, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen Zuflucht in der Sowjetunion suchten und dort ein Opfer des stalinistischen Terrors, der ‚Säuberungen’ und Schauprozesse wurden, war jahrzehntelang ein nahezu undurchdringlicher Schleier des Schweigens gebreitet. Ein Schleier, der trotz Glasnost und Perestroika selbst jetzt noch in so manchen Fällen lediglich ein ungewisses ‚Verschollen’durchlässt. Vom Bundesministerium für Wissenschaft  und Forschung damit betraut, bemüht sich der Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung (…), den Lebenswegen dieser Opfer und deren Verstrickung in ein teuflisches System nachzuspüren. Hans Schafranek hat erste Ergebnisse in einem Buch dokumentiert.“
Rentner und Pensionist, Dezember 1991

RADIOBEITRAG

RIAS Berlin. Lesezeit – Das Politische Buch, 25.8.1992, 23.00 Uhr